Studium: Psychologische Diagnostik

Was lernen Studierende im Fach Psychologische Diagnostik?

In der Psychologischen Diagnostik lernen Studierende, wie man menschliches Erleben und Verhalten und deren relevante Bedingungen beschreiben, klassifizieren und messen kann. Psychische Merkmale und Zustände lassen sich nicht genauso messen wie Länge und Masse; deshalb lernen Studierende Theorien des Messens und Testens, die speziell für die Erfassung psychischer Merkmale entwickelt wurden.

Der direkte Bezug der Psychologischen Diagnostik auf bestimmte Anwendungsgebiete erklärt auch die enge Verknüpfung von Diagnostik und Persönlichkeitspsychologie bzw. Differentieller Psychologie. So ist aktuelles und fundiertes Wissen über die Konstrukte, die gemessen werden sollen, unabdingbar bei der Auswahl, dem Einsatz und der Ergebnisinterpretation der diagnostischen Methode.

Sammlung von Erfahrungsdaten mittels Psychologischer Diagnostik

Die Psychologie als empirische Wissenschaft ist auf Erfahrungsdaten angewiesen, um Erleben und Verhalten beschreiben, erklären, vorhersagen und verändern zu können. Studierende lernen in der Psychologischen Diagnostik, wie sie solche Erfahrungsdaten mit unterschiedlichen diagnostischen Verfahren und Methoden sammeln können, z.B. mit Tests zur Erfassung der Intelligenz oder Konzentrationsfähigkeit, mit Persönlichkeitsfragebogen, mit Hilfe von Interviews, durch Beobachtungssysteme, aber auch durch apparative Verfahren zur Messung der Hautleitfähigkeit (je höher, desto mehr Stress) oder der Aktivierung bestimmter Hirnareale. In der Psychologischen Diagnostik sind zahlreiche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, beispielsweise Rechtsvorschriften und ethische Richtlinien, die man kennen muss. Studierende lernen auch, wie man diagnostische Standard-Verfahren (Fragebogen, Tests, Interviews, Systeme zur Verhaltensbeobachtung) selbst konstruieren und deren Qualität beurteilen kann. Psychologische Diagnostiker*innen können die Ergebnisse solcher Verfahren theoriegeleitet und zielgerichtet interpretieren und daraus Entscheidungen oder Vorhersagen ableiten.

Psychologisches Diagnostizieren ist ein Prozess, der in der Praxis mit ganz unterschiedlichen Fragestellungen beginnt, z.B. mit Fragen zur Schuleignung, zum Umgangs- und Sorgerecht, zur Fahreignung, zu kognitiven und affektiven Funktionsstörungen infolge von Schlaganfällen, zur Frage, ob eine Therapie angezeigt und sinnvoll ist.

Psychologie-Studierende lernen, wie solche Fragestellungen so präzisiert und in die psychologische Fachsprache „übersetzt“ werden, dass sie anschließend mit geeigneten diagnostischen Verfahren zielgerichtet untersucht werden können. Im nächsten Schritt werden die erhobenen Daten ausgewertet, integriert und theoriegeleitet interpretiert. Der diagnostische Prozess endet mit der Beantwortung der Fragestellung und oft auch mit einem Interventions- oder Maßnahmenvorschlag, der z.B. am Ende eines  psychologischen Gutachtens präsentiert wird. Zum Beispiel kann zusätzlich zur Beantwortung der Fragestellung, bei welchem Elternteil ein Scheidungskind wohnen soll, eine Mediation oder eine sozialpädagogische Unterstützung vorgeschlagen werden.

Sowohl in der Forschung, als auch in der psychologischen Praxis werden in der Regel Daten aus mehreren diagnostischen Quellen erfasst und berücksichtigt, um Fragestellungen möglichst gut klären und bearbeiten zu können: Wenn es z.B. um die Besetzung eines wichtigen Postens in einem Unternehmen geht, werden Assessment-Center durchgeführt, in denen Bewerber*innen mit mehreren diagnostischen Verfahren von mehreren Expert*innen auf mehreren Merkmalen bzgl. ihrer Eignung für die zu vergebende Stelle eingeschätzt werden. Wenn eine psychische Störung diagnostiziert werden soll, reicht es nicht, sich lediglich auf die Ergebnisse eines Fragebogens zu verlassen; es müssen noch weitere Daten, z.B. aus Interviews, Verhaltensbeobachtungen, der Vorgeschichte und evtl. vorliegenden Arztberichten berücksichtigt werden.

Wofür braucht man das Gelernte im späteren Berufsalltag?

Da bei jeder psychologischen Fragestellung Erfahrungsdaten erhoben werden müssen, ist die Psychologische Diagnostik eine Querschnittsdisziplin, die in jedem (psychologischen) Berufsfeld gebraucht wird.

Dabei gilt das sogenannte GIGO-Prinzip (Garbage In, Garbage Out):
Wenn bereits die diagnostizierten Erfahrungsdaten, die den zentralen Ausgangspunkt für die Klärung psychologischer Fragestellungen bilden, „Mist“ sind, dann wird mit hoher Wahrscheinlichkeit am Ende auch „Mist“ herauskommen.

Wenn wir z.B. in der Personalauswahl schlechte Diagnostik machen und eine ungeeignete Person für eine zentrale Position in einem Unternehmen empfehlen, dann kann die fehlende Passung zwischen den Anforderungen der Position und den Fähigkeiten der Person zu falschen Entscheidungen und in der Folge zu erheblichen finanziellen Einbußen für das Unternehmen und zu Selbstwertbeeinträchtigungen bei der falsch platzierten Person führen. Gelingt es dagegen mit wissenschaftlich fundierter Psychologischer Diagnostik die richtige Person für eine wichtige berufliche Position zu finden, dann wird das sowohl für das Unternehmen als auch für die platzierte Person erhebliche Vorteile bringen.

Bei der genannten und auch bei vielen anderen Fragestellungen müssen auch Persönlichkeitsmerkmale, z.B. Intelligenz, soziale Kompetenzen und Gewissenhaftigkeit berücksichtigt werden, was aktuelles und fundiertes Konstruktwissen erfordert. Mit Hilfe der Psychologischen Diagnostik gelingt es, für Schüler*innen die richtige Lern- oder Schulform zu finden, für belastete Menschen die richtige Therapie und für Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen den richtigen Arbeitsplatz bzw. die geeignetsten Mitarbeiter*innen. Die Psychologische Diagnostik trägt wesentlich dazu bei, dass die richtigen Entscheidungen in gerechter Form getroffen werden, z.B. die Entscheidung, wer einen Studienplatz erhält, welche Zeugen vor Gericht für glaubwürdig erachtet werden und wer besser keinen Führerschein mehr erhalten sollte.

Was sind die aktuellen Hot Topics des Faches? Woran wird derzeit geforscht?

Eine langjährige und breite Forschungstradition in der Persönlichkeitspsychologie und Psychologischen Diagnostik beschäftigt sich mit der Frage, welche und wie viele Dimensionen notwendig sind, um Persönlichkeit zu beschreiben. In den letzten 30 Jahren hat sich eine Klassifikation bzw. Taxonomie von Persönlichkeitsmerkmalen weitgehend durchgesetzt, die bereits im Zusammenhang mit dem Hot Topic „Persönlichkeitsveränderung durch Intervention“ erwähnt wurde, die sogenannten Big Five (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit); es liegen aber auch noch weitere Klassifikationen von Persönlichkeitsmerkmalen vor. Weit weniger Forschung existiert zu der Frage, welche Merkmale einer Situation psychologisch relevant sind. Da sich Personen immer in Situationen bewegen und Erleben und Verhalten sowohl von Merkmalen der Person, als auch der Situation abhängen, ist es auch von zentraler Bedeutung zu klären, ob es übergreifende Merkmale gibt, mit denen Situationen klassifiziert werden können. Solche Merkmale der Situation und Merkmale der Person sowie deren Wechselwirkungen lassen sich dann nutzen, um Erleben und Verhalten zu erklären und vorherzusagen. Mit welchen übergreifenden Charakteristika lassen sich Situationen beschreiben? Seit einigen Jahren liegen die sogenannten Situational Eight DIAMONDS vor (Rauthmann et al., 2014). DIAMONDS ist dabei ein Akronym für 8 übergreifende Situationsmerkmale: Duty (Müssen Aufgaben erledigt werden?), Intellect (In welchem Ausmaß sind intellektuelle Fähigkeiten erforderlich?), Adversity (Wird eine Person bedroht oder kritisiert?), Mating (Sind attraktive PartnerInnen anwesend?), Positivity (Ist die Situation spielerisch, spaßig, humorvoll?), Negativity (Kann die Situation Angst, Stress oder andere negative Emotionen auslösen?), Deception (Kann man den Personen in der Situation trauen?) und Sociality (Können bedeutungsvolle soziale Interaktionen und Beziehungen stattfinden?).

Psychologische Forschung findet oft mit Psychologie-Studierenden im ersten Semester statt. Es ist deshalb fraglich, ob sich die Ergebnisse aus Studien, die auf solch selektiven Stichproben basieren, generalisieren, d.h. auf „den Rest der Menschheit“ übertragen lassen. Mit dem „Rest der Menschheit“ sind dabei alle Personen gemeint, die nicht Anfang 20, weiblich und mit einem hervorragenden Abitur ausgestattet sind, wie das typische Mitglied der sozialen Kategorie „Psychologie-Student/in“, also fast alle anderen. Die Stichproben in psychologischen Studien sind in sehr vielen Fällen nicht repräsentativ, d.h. sie weisen nicht dieselben Merkmale auf wie eine Grundgesamtheit, z.B. die deutsche Bevölkerung, und werden auch nicht zufällig aus einer solchen Grundgesamtheit ausgewählt. Deshalb ist eine Generalisierung von der Stichprobe auf die Grundgesamtheit nicht möglich. In den letzten Jahren sind nun Persönlichkeitsmerkmale und Einstellungen zunehmend mehr in repräsentativen Umfragen erfasst worden, wie sie in der Politologie und Soziologie üblich sind. Solche Umfragen werden von professionellen Meinungs- und Marktforschungsinstituten mit hohem personellem und finanziellem Aufwand an einem repräsentativen Querschnitt der deutschen Bevölkerung durchgeführt. Um die Kosten im Rahmen halten zu können und auch die Teilnahme-Quote zu optimieren, ist es notwendig, nicht zu viele Fragen zu stellen. Fragebogenskalen zur Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen, Einstellungen, psychischen Störungen etc. umfassen in der Regel aber zwischen zehn und 20 Items pro Dimension, d.h. Feststellungen zur Selbstbeschreibung, manchmal auch mehr, sind also viel zu lang, um in repräsentativen Umfragen eingesetzt werden zu können. Deshalb wurden in den letzten Jahren zunehmend mehr Kurzskalen zur Erfassung von psychischen Merkmalen konstruiert, die dann auch in repräsentativen Umfragen zum Einsatz gekommen sind. Hier gilt es zu erforschen, ob und in welchen Grenzen es gelingt, mit den Kurzskalen eine genaue und gültige Messung der interessierenden Merkmale zu erzielen. Eine Zusammenstellung solcher Kurzskalen findet sich hier auf der Webseite von GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften.

Das Erleben und Verhalten eines Menschen wird in der psychologischen Diagnostik häufig nicht unmittelbar dort erfasst, wo es stattfindet – im Feld, d.h. im Alltag einer Person. Aus sicherlich verständlichen ökonomischen Gründen werden zumeist Fragebogen zur Selbstbeschreibung eingesetzt, um Erleben und Verhalten retrospektiv und im Sinne einer mentalen Repräsentation zu erfassen. Solche Auskünfte im Fragebogen können als komplexe Rekonstruktionen des Erlebens und Verhaltens im Feld interpretiert werden, die von zahlreichen Verzerrungen überlagert werden (z.B. Erinnerungseffekte, Antworttendenzen und –heuristiken, Stereotype etc.). Kurzum: Mittels Fragebogen erfasstes Erleben und Verhalten ist nicht gleichbedeutend mit Erleben und Verhalten im Alltag einer Person. In der Psychologie sind die genannten Probleme eigentlich schon länger bekannt; aber erst in den letzten Jahren hat sich im Zuge des technologischen Fortschritts im Bereich von portablen Mikrocomputern und Smartphones das sogenannte ambulatorische/ambulante Assessment zunehmend mehr verbreitet. „Ambulantes Assessment erfasst Selbstberichte, Verhaltensweisen oder physiologische Messwerte mit computer-unterstützten Methoden, während die Untersuchten ihrem normalen Tagesablauf nachgehen“ (Fahrenberg, Myrtek, Pawlik & Perrez, 2007, S. 12). Über aktuelle Methoden, Tools und Studien zur Datenerhebung mit Hilfe von ambulatorischem Assessment informiert die Webseite der Society for Ambulatory Assessment.

Während beim ambulatorischen Assessment nach wie vor gezielt Daten erhoben werden, geht es bei „People Analytics“ darum zu untersuchen, inwieweit die digitalen Daten, die ein Mensch im Alltag hinterlässt, seine „digitale DNA“, diagnostisch genutzt werden kann. Kann man von Internet-Kommunikationsmustern auf Facebook, Twitter und Co, von der Analyse der Website-Besuche und der dort vorgenommenen Urteile (likes) oder der Selbstdarstellung im Internet Rückschlüsse auf die Persönlichkeit ziehen? Zeigt das Gesicht eines Menschen seine sexuelle Orientierung? Forscher*innen aus dem Bereich der Psychologischen Diagnostik und Persönlichkeitspsychologie haben erste Antworten auf diese Fragen gefunden. Dabei nutzten sie sogenannte Machine Learning Ansätze, die es erlauben, sehr große Datensätze (Big Data) zu analysieren. Diese Art der Diagnostik stellt eine große Herausforderung dar, birgt sie neben sehr vielen Chancen auch ethische und moralische Fragen, die noch beantwortet werden müssen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Integration von Machine Learning und Big Data Analysen ein in Zukunft potenziell reicher Schatz für die Erforschung und Diagnostik der Persönlichkeit sein kann.

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