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Förderung des Projekts „Bildbearbeitung im Foto-Lineup und ihr Einfluss auf die Identifizierungsleistung von Zeuginnen und Zeugen“

Die Jungmitgliedervertretung der Fachgruppe Rechtspsychologie hat 2023 erneut eine Kooperationsförderung für ihre Jungmitglieder ausgeschrieben.

Mit ihrem Projekt „Bildbearbeitung im Foto-Lineup und ihr Einfluss auf die Identifizierungsleistung von Zeuginnen und Zeugen“ erhielten Dr. Ronja Mueller (Medical School Hamburg), Prof. Silvia Gubi-Kelm (Medical School Hamburg) sowie Dr. Melanie Sauerland (Maastricht University) eine Fördersumme von 500 Euro für die Durchführung des Forschungsprojekts. Von dem Fördergelt wurden bislang insgesamt 368 Euro in Form von Probandengeldern abgerufen (wobei die Erhebung noch nicht abgeschlossen ist).

Hintergrund: Ziel des Projekts ist es, die Beeinflussung der Lineup-Fairness durch die Verwendung von gemorphten Vergleichsbildern zu untersuchen. Im Kontext von Foto-Lineups zur Identifizierung von Tatverdächtigen, werden aufgrund von Datenschutzbestimmungen oftmals Gesichter durch sog. Morphing mit Fotobearbeitungssoftware neu kreiert (Hofmann, 2013; Runderlass 42-62.09.08(6407), 2006). Gemorphte Gesichter werden im Vergleich zu nicht-gemorphten als attraktiver wahrgenommen (Langlois & Roggman, 1990). Eine höhere Attraktivität könnte zu einer positiveren Attribution der abgebildeten Person (sog. Halo-Effekt; Dion et al., 1972) und zu einer Beeinflussung der Identifizierungsleistung führen: Tatverdächtigenbilder könnten weniger positiv attribuiert und häufiger als Täter:in ausgewählt werden.

Eine andere Form der Bildbearbeitung, die im polizeilichen Kontext bislang nicht angewandt wird, ist das Karikieren von Gesichtern. Hierbei werden die markanten Gesichtszüge einzelner Personen hervorgehoben. Derartige Karikaturen werden als weniger attraktiv wahrgenommen als Originalbilder (Valentine et al., 2004) und könnten im Sinne der wahrgenommenen Attraktivität daher einen Gegenpol und in der polizeilichen Praxis möglicherweise eine Alternative zu den gemorphten Bildern darstellen, da sie einen Bias „weg vom Täter“ bewirken. Sollte unter realen Umständen in einem solchen „Karikatur-Lineup“ trotz dieses Bias ein Tatverdächtigenbild ausgewählt werden, könnte die Entscheidung als deutlich valider angesehen werden (die Auswahl wurde dann nicht auf Basis von Attraktivität/Sympathie getroffen, sondern sollte einer tatsächlichen Identifizierungsleistung zugrunde liegen). Die Studie zielt darauf ab, auch diese Form der Bildbearbeitung hinsichtlich ihres Einflusses auf die Lineup-Fairness zu untersuchen.

Methode: Den Probanden wird zunächst ein Video einer tatverdächtigen Person präsentiert. Im Anschluss daran sollen die Probanden die tatverdächtige Person in einem Foto-Lineup identifizieren, obwohl die tatverdächtige Person sich nicht unter den präsentierten Bildern befindet. Das Lineup variiert hinsichtlich zwei Bedingungen: in der ersten Bedingung werden zur einen Hälfte gemorphte und zur anderen Hälfte nicht-manipulierte Gesichter präsentiert (Bedingung „Morph“), während in der zweiten Bedingung zur einen Hälfte karikierte und zur anderen nicht-manipulierte Gesichter dargeboten werden (Bedingung „Karikatur“). Wir erwarten in der „Morph“-Bedingung, dass überzufällig häufig nicht-manipulierte Gesichter als tatverdächtige Person ausgewählt werden, während in der „Karikatur“-Bedingung überzufällig häufig karikierte Gesichter ausgewählt werden sollten.

Zwischenstand des Projekts: Vorläufige Ergebnisse lassen vermuten, dass das Auswahlverhalten der Probanden im angewendeten Lineup-Paradigma nicht den aufgestellten Hypothesen entspricht. Obwohl gemorphte Gesichter als deutlich attraktiver und karikierte Gesichter als unattraktiver wahrgenommen werden, als nicht-manipulierte Gesichter, deuten die Befunde eher darauf hin, dass die Probanden ihre Auswahl nicht auf Basis von Attraktivität/Sympathie treffen, sondern ein Bild ausgewählt wird, welches der tatverdächtigen Person am ähnlichsten sieht. Obwohl die Attraktivität der Gesichter zudem positiv mit der wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit der Gesichter zu korrelieren scheint, spiegelt sich dieser Zusammenhang nicht als Bias zuungunsten von weniger attraktiven Gesichtern im Lineup wider. Interessanterweise zeigen die bisherigen Ergebnisse sogar einen konträren Effekt: in der Lineup-Bedingung „Morph“ wurden entgegen unserer Hypothese vermehrt gemorphte Gesichter als Tatverdächtiger ausgewählt. Dieser Befund könnte mit der sogenannten Prototypentheorie der Gesichtswahrnehmung (s. bspw. Bruce et al., 1991) erklärt werden: gemorphte Gesichter weisen durch das Mitteln verschiedener Gesichter prototypischere Gesichtszüge auf. Möglicherweise entsprechen sie damit eher der im Video präsentierten Täter:innenkategorie und werden daher häufiger als „beste Alternative“ ausgewählt, wenn der/die eigtl. „Täter:in“ nicht im Lineup enthalten ist.