Was lernen Studierende im Fach Sozialpsychologie?
Die Sozialpsychologie ist eines der klassischen Grundlagenfächer der Psychologie. Studierende lernen hier grundlegende Theorien, Konzepte, Methoden und Befunde der sozialpsychologischen Forschung kennen.
Diese können dann angewendet werden, um soziale Phänomene besser zu verstehen bzw. zu erklären und gesellschaftlich relevante Fragen fundiert zu beantworten, etwa:
- Wie bilden sich Einstellungen?
- Welche Formen des sozialen Einflusses gibt es?
- Was sind Risikofaktoren für Aggression?
- Wie kann man prosoziales Verhalten fördern?
- Wie bilden sich Teams, Cliquen und Freundschaften?
- Wie entsteht interpersonales Vertrauen und Kooperationsbereitschaft?
und viele andere Fragen mehr.
Ein wichtiges methodisches Paradigma der Sozialpsychologie ist das Verhaltensexperiment. Hierbei wird versucht auf der Basis einer sorgfältig kontrollierten Variation von Umgebungsfaktoren und einer möglichst objektiven und genauen Messung von Reaktionen den Grundlagen menschlichen Sozialverhaltens auf die Spur zu kommen. Weil Experimente eine so fundamentale Bedeutung für die sozialpsychologische Forschung haben, nimmt ihre Darstellung in Lehrveranstaltungen einen besonderen Raum ein. Studierende lernen klassische und aktuelle Experimente der Sozialpsychologie kennen und reflektieren diese vor dem Hintergrund methodologischer und forschungsethischer Erwägungen.
Wofür braucht man das Gelernte im späteren Berufsalltag?
Ein Verständnis sozialer Phänomene und Prozesse ist nützlich in nahezu allen Bereichen des menschlichen Lebens. Daher ist es auch überall da relevant, wo Psycholog:innen beruflich tätig werden – in der Psychotherapie (etwa wenn es um Gruppenprozesse bei therapeutischen Interventionen in Gruppensettings geht), in der Organisationspsychologie (etwa wenn es um Zusammenarbeit in Teams geht), in der Pädagogischen Psychologie (etwa wenn es darum geht, Aggression und Gewalt an Schulen durch geeignete Maßnahmen zu reduzieren) usw.
Etwas konkreter: Wenn man die Grundlagen sozialer Beeinflussung kennt, kann man sich der unerwünschten Einflussnahme durch andere eher erwehren. Wenn man weiß, was Menschen für gerecht oder ungerecht halten, kann man soziale Konflikte vermeiden oder reduzieren. Wenn man weiß, welche Phasen ein Gruppenbildungsprozess durchläuft, kann man diesen Prozess optimieren. Es gibt kaum einen Bereich des alltäglichen Lebens, für den sozialpsychologisches Wissen nicht relevant wäre. Aus diesem Grund ist die Sozialpsychologie auch dasjenige Grundlagenfach der Psychologie, das per se eine besondere Anwendungsrelevanz besitzt.
Welches interessante psychologische Experiment / welche Forschung ist typisch für die Sozialpsychologie?
Eines der klassischen Experimente der Sozialpsychologie ist das von Leon Festinger und James M. Carlsmith aus dem Jahre 1959. Es ist zwar schon relativ alt, aber seine Befunde sind bis heute gültig und relevant. Das Experiment wurde seinerzeit durchgeführt, um eine Hypothese zu testen, die aus der sogenannten Dissonanztheorie von Leon Festinger abgeleitet werden kann. Diese Hypothese lautet: Wenn man eine Handlung gegen seinen eigenen Willen oder seine eigene Überzeugung ausführen soll, dann erzeugt dies einen unangenehmen Spannungszustand. Da Menschen nun versuchen, solche unangenehmen Spannungszustände zu reduzieren, greifen sie zu Strategien der Dissonanzreduktion. Eine solche Strategie besteht darin, sich die Handlung schönzureden, also seine Einstellung gegenüber der Handlung zu ändern.
In ihrem Experiment baten Festinger und Carlsmith ihre Versuchspersonen, eine andere Person zu überreden, eine bestimmte Aufgabe zu bearbeiten. Die Aufgabe war eigentlich gähnend langweilig (unter anderem musste man etwa eine halbe Stunde lang Schrauben um 45 Grad drehen), aber die Versuchspersonen sollten der anderen Person erzählen, dass die Aufgabe eigentlich sehr spannend sei. Die meisten Versuchspersonen taten, worum sie gebeten wurden.
Im Nachhinein fragte man die Versuchspersonen, wie sie eigentlich selbst die Aufgabe fanden. Und in der Tat gaben viele Versuchspersonen an, die Aufgabe sei durchaus spannend und interessant gewesen. Die Versuchspersonen hatten also ihre Einstellung gegenüber der Aufgabe geändert – in der Sprache der Dissonanztheorie würde man sagen, sie haben ihre kognitive Dissonanz durch Einstellungsänderung reduziert.
Was sind die aktuellen Hot Topics des Faches? Woran wird derzeit geforscht?
Eine Frage, die die Sozialpsychologie zurzeit zu beantworten versucht, lautet: zu welchem Anteil ist unser soziales Verhalten eigentlich durch automatische, kaum kontrollierbare und extrem schnell ablaufende („unbewusste“) kognitive Prozesse gesteuert und welche Rolle spielen demgegenüber bewusste, kontrollierbare Denkprozesse?
Wir kennen das alle aus unserem Alltag: Menschen bilden sich von anderen Menschen sehr schnell einen ersten Eindruck. Die sozialpsychologische Forschung hat gezeigt, dass es weniger als eine zehntel Sekunde braucht, bis man aus einem Gesichtsausdruck (der etwa auf einem Foto gezeigt wird) auf Charaktereigenschaften der jeweiligen Person schließt.
Eine solche Urteilsbildung auf der Basis minimaler Informationen geschieht also extrem schnell, automatisch, und ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Aktuelle Forschung befasst sich mit der Frage, unter welchen Umständen solche ersten Eindrücke noch einmal verändert werden, wie also unbewusste und bewusste Prozesse zusammenarbeiten, wenn Menschen Urteile übereinander bilden.
Warum haben Sie persönlich sich für dieses Fach entschieden? Was fasziniert Sie?
Mario Gollwitzer, Professor für Sozialpsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München: „Ich habe mich persönlich immer für den Bereich der sozialpsychologischen Gerechtigkeitsforschung interessiert. Urteile darüber, was gerecht ist und was ungerecht ist, sind ja meist sehr stark und emotional. Wir regen uns über Ungerechtigkeit ziemlich auf und reagieren auf Ungerechtigkeit mitunter aggressiv. Aber was versuchen wir damit eigentlich zu erreichen? Woher kommt diese Sensibilität für Ungerechtigkeit? Und was bewirken aggressive Reaktionen auf Ungerechtigkeit – beispielsweise die Neigung, sich an einer anderen Person zu rächen – eigentlich wirklich? Über solche Fragen kann man entweder philosophisch spekulieren oder man kann versuchen, Experimente zu planen, die es einem erlauben, die Antwort aus den Daten abzulesen. Und wie man das macht und was man so über den Menschen erfahren kann, fasziniert mich als Forscher schon seit meinem Studium.“